Im Gasthaus zum Tänzelnden Pony
Leseprobe aus "Der Herr der Ringe" Band 1

Es war dunkel, und weiße Sterne leuchteten, als Frodo und seine Gefährten schließlich die Grünwegkreuzung erreichten und sich dem Dorf näherten. Sie kamen zum Westtor und fanden es geschlossen, aber dahinter sag an der Tür des Pförtnerhauses ein Mann. Er sprang auf, holte eine Laterne und sah die Hobbits über das Tor hinweg überrascht an.
"Was wollt Ihr und woher kommt Ihr?" fragte er barsch. "Wir wollen ins Gasthaus", antwortete Frodo. "Wir reisen nach dem Osten und können heute abend nicht weiter." "Hobbits! Vier Hobbits! Und noch dazu aus dein Auenland nach ihrer Redeweise", sagte der Torhüter leise, als spräche er zu sich selbst. Er starrte sie einen Augenblick finster an, dann öffnete er langsam das Tor und ließ sie durchreiten. "Wir sehen nicht oft Leute aus dem Auenland nachts auf der Straße reiten", fuhr er fort, als sie einen Augenblick an seiner Tür anhielten. "Ihr werdet entschuldigen, wenn ich gern wissen möchte, welche Angelegenheiten Euch weit östlich von Bree führen. Darf ich fragen, wie Ihr heißt?" "Unsere Namen und unsere Angelegenheiten sind unsere Sache, und dies scheint mir nicht der richtige Ort zu sein, um uns darüber zu unterhalten" sagte Frodo, dem weder der Mann noch sein Ton gefielen. "Eure Angelegenheiten sind Eure Sache, zweifellos", erwiderte der Mann; "aber meine Angelegenheit ist es, nach Einbruch der Nacht Fragen zu stellen." "Wir sind Hobbits aus Bockland, und es beliebt uns, zu reisen und hier im Gasthaus zu übernachten", mischte sich Merry ein. "Ich bin Herr Brandybock. Genügt Euch das? Die Leute in Bree pflegten zu Reisenden höflich zu sein, oder wenigstens habe ich das gehört." "Schon gut, schon gut!" sagte der Mann. "Ich habe es nicht böse gemeint. Aber Ihr werdet vielleicht sehen, daß Euch noch andere als nur der alte Heinrich am Tor Fragen stellen. Es sind sonderbare Leute unterwegs. Wenn Ihr zum Pony geht, werdet Ihr sehen, daß Ihr nicht die einzigen Gäste seid."

Er wünschte ihnen Gute Nacht, und sie sagten nichts mehr; aber Frodo konnte im Schein der Laterne sehen, daß der Mann sie immer noch neugierig anstarrte. Er war froh, als er hörte, wie das Tor hinter ihnen zuschlug, während sie weiter ritten. Er fragte sich, warum der Mann so argwöhnisch gewesen war, und ob sich wohl irgend jemand nach einer Gruppe von Hobbits erkundigt habe. Konnte es Gandalf gewesen sein? Er mochte inzwischen angekommen sein, während sie im Wald und auf den Höhen aufgehalten wurden. Aber irgend etwas im Ausdruck und in der Stimme des Torwächters machte ihn unruhig.
Der Mann starrte den Hobbits einen Augenblick nach, dann ging er wieder in sein Häuschen. Kaum hatte er den Rücken gekehrt, da kletterte eine dunkle Gestalt rasch über das Tor und verschwand im Schatten der Dorfstraße.

Die Hobbits ritten eine sanfte Steigung hinauf, kamen an ein paar einzelnstehenden Häusern vorbei und hielten dann vor dem Gasthaus an. Die Häuser erschienen ihnen groß und fremdartig. Sam starrte zum Gasthof hinauf mit seinen drei Stockwerken und vielen Fenstern, und der Mut sank ihm. Er hatte sich vorgestellt, daß er irgendwann im Laufe dieser Fahrt Riesen begegnen würde, größer als Bäume, und anderen Geschöpfen, die womöglich noch furchterregender wären; aber in diesem Augenblick reichte ihm der erste Anblick von Menschen und ihren hohen Häusern vollkommen, ja für das dunkle Ende eines anstrengenden Tages war eigentlich das schon zuviel. Er malte sich schwarze Pferde aus, die fertig gesattelt im Schatten des Wirtshaushofes stünden, und Schwarze Reiter, die oben aus den dunklen Fenstern starrten. "Wir werden doch nicht etwa hier übernachten, Herr?" rief er aus. "Wenn es Hobbits in dieser Gegend gibt, warum suchen wir uns dann nicht welche, die uns aufnehmen wollen? Es wäre mehr wie zu Hause." "Was hast du gegen das Gasthaus?" fragte Frodo. "Tom Bombadil hat es empfohlen. Drinnen wird es vermutlich ziemlich wie zu Hause sein."
Selbst von außen sah das Gasthaus für Augen, die mit ihm vertraut waren, sehr einladend aus. Es hatte eine Front zur Straße und zwei Flügel nach hinten, die in die niedrigen Hänge des Berges hineingebaut waren, so daß die rückwärtigen Fenster im zweiten Stock zu ebener Erde lagen. Ein breiter Torbogen führte zu einem Hof, der zwischen den beiden Flügeln lag, und links unter dem Torbogen war der Hauseingang, den man über ein paar Stufen erreichte. Die Tür stand offen, und Licht strömte heraus. über dem Torbogen hing eine Lampe und darunter ein großes Wirtshausschild: ein fettes, weißes Pony, das sich auf die Hinterbeine aufbäumt. Über der Tür stand in weißen Buchstaben: ZUM TÄNZELNDEN PONY, BESITZER GERSTENMANN BUTTERBLUME. Aus vielen der unteren Fenster schimmerte Licht durch dicke Vorhänge.

Als sie noch zögernd draußen in der Dämmerung Standen, stimmte drinnen jemand ein fröhliches Lied an, und viele vergnügte Stimmen fielen laut im Chor ein. Die Hobbits lauschten diesem ermutigenden Lärm einen Augenblick und saßen dann von ihren Ponies ab. Das Lied war zu Ende, und lautes Lachen und Klatschen erscholl.
Sie führten ihre Ponies unter dein Torbogen durch, ließen sie im Hof stehen und gingen dann die Stufen hinauf. Frodo ging voran und wäre fast mit einem untersetzten, dicken Mann mit einer Glatze und einem roten Gesicht zusammengestoßen. Er trug eine weiße Schürze und stürzte mit einem Tablett voller Bierkrüge aus einer Tür heraus und durch eine andere wieder hinein. "Können wir ... ", begann Frodo. "Eine Sekunde, bitte schön", rief der Mann über die Schulter und verschwand in einem Gewirr von Stimmen und einer Wolke von Rauch. Einen Augenblick später war er wieder draußen und wischte sich die Hand an der Schürze ab.
"Guten Abend, kleiner Herr!" sagte er, indem er sich bückte. "Was habt ihr für Wünsche?" "Betten für vier und Unterkunft für fünf Ponies, wenn es sich machen läßt. Seid Ihr Herr Butterblume?" "Jawohl, mein Name ist Gerstenmann. Gerstenmann Butterblume zu Euren Diensten! Ihr seid aus dem Auenland, nicht wahr?" sagte er, und dann schlug er sich plötzlich auf die Stirn, als ob er versuchte, sich an etwas zu erinnern. "Hobbits!" rief er. "Was fällt mit denn dabei ein? Darf ich nach Euren Namen fragen, Herr?" "Herr Tuk und Herr Brandybock", stellte Frodo vor. "Und das ist Sam Gamdschie. Mein Name ist Unterberg." "Na, so was", sagte Herr Butterblume und schnalzte mit den Fingern. "Nun ist es wieder futsch! Aber es wird mir wieder einfallen, wenn ich Zeit zum Nachdenken habe. Ich laufe mir gewiß schon die Hacken ab, aber ich werde sehen, was ich für Euch tun kann. Wir haben heutzutage nicht oft Gäste aus dem Auenland, und es würde mir leid tun, wenn ich Euch nicht aufnehmen könnte. Aber heute abend ist ein derartiger Betrieb im Haus, wie wir ihn lange nicht hatten. Wenn es einmal regnet, dann gießt es gleich, wie wir in Bree sagen." "He, Kunz!" schrie er. "Wo steckst du denn, du wollfüßiges Faultier! Kunz!" "Komme schon, Herr, komme schon!" Ein vergnügt aussehender Hobbit schoß aus einer Tür heraus, und als er die neuen Gäste sah, blieb er wie angewurzelt stehen und starrte sie höchst neugierig an. "Wo ist Hinz?" fragte der Wirt. "Das weißt du nicht? Dann such ihn. Schneller, schneller! Ich habe keine sechs Beine, und sechs Augen auch nicht! Sage Hinz, da sind fünf Ponies im Stall unterzubringen. Er muß irgendwie Platz Schaffen." Kunz trottete grinsend und mit den Augen zwinkernd davon. "Ja, was wollte ich denn sagen?" fragte Herr Butterblume und schlug sich an die Stirn. "Eins verdrängt das andere, sozusagen. Ich habe so viel um die Ohren heute abend, daß mir der Kopf schwirrt. Da ist eine Gruppe, die kam gestern nacht den Grünweg von Süden herauf - und das war schon mal merkwürdig. Dann ist heute abend eine Reisegesellschaft von Zwergen gekommen, die nach dem Westen unterwegs ist. Und jetzt Ihr. Wenn Ihr nicht Hobbits wäret, würde ich Euch wohl nicht unterbringen können. Aber wir haben ein paar Zimmer im Nordflügel, die eigens für Hobbits vorgesehen wurden, als dieses Haus gebaut wurde. Zu ebener Erde, was sie gewöhnlich schätzen; mit runden Fenstern und allem, wie sie es gern haben. Ich hoffe, Ihr werdet Euch dort wohl fühlen. Sicher wollt Ihr Abendessen haben. Sobald es irgend geht. jetzt hier lang."

Er führte sie ein kurzes Stück über einen Gang und öffnete eine Tür. "Hier ist eine nette kleine Gaststube", sagte er. "Ich hoffe, es wird recht sein. Entschuldigt mich jetzt. Ich habe so viel zu tun. Keine Zeit zum Plaudern, Immer im Trab. Schwere Arbeit für zwei Beine, aber ich werde nicht dünner. ich gucke später nochmal herein. Wenn Ihr irgend etwas wollt, läutet die Handglocke, Kunz wird dann kommen. Wenn er nicht kommt, läutet und ruft!" Endlich ging er, und sie fühlten sich ziemlich atemlos. Er schien endlos reden zu können, wieviel er auch zu tun haben mochte. Sie befanden sich in einem kleinen, gemütlichen Raum. Im Kamin brannte ein Feuer, und davor standen ein paar niedrige, bequeme Sessel. Ein runder Tisch war bereits weiß gedeckt, und auf ihm stand eine große Handglocke. Aber Kunz, der Hobbit-Hausdiener, kam schon, ehe sie überhaupt daran gedacht hatten, zu läuten. Er brachte Kerzen und ein Tablett mit Tellern. "Wünschen die Herren etwas zu trinken?" fragte er. "Und soll ich Euch die Schlafzimmer zeigen, bis das Essen fertig ist?"

Sie hatten sich gewaschen und schon einen kräftigen Zug aus den hohen Bierkrügen getan, als Herr Butterblume und Kunz wieder erschienen. Im Handumdrehen war der Tisch gedeckt. Es gab heiße Suppe, kaltes Fleisch, eine Brombeertorte, frisches Brot und Butter und einen halben reifen Käse: gute handfeste Kost, wie sie im Auenland nicht hätte besser sein können und genügend "wie zu Hause", um Sams letzte Zweifel zu zerstreuen (die bereits durch das vortreffliche Bier erheblich besänftigt waren). Der Wirt hielt sich eine Weile bei ihnen auf und schickte sich dann zum Gehen an. "Ich weiß nicht, ob Ihr Euch gern der Gesellschaft anschließen würdet, wenn Ihr gegessen habt", sagte er, als er an der Tür stand. "Vielleicht würdet Ihr lieber zu Bett gehen. jedenfalls würde die Gesellschaft Euch sehr gern begrüßen, wenn Euch der Sinn danach steht. Wir haben nicht oft Außenseiter hier - Reisende aus dem Auenland sollte ich wohl sagen, ich bitte um Vergebung; und wir hören gern ein paar Neuigkeiten oder irgendeine Geschichte oder ein Lied, die Ihr vielleicht wißt. Aber wie Ihr wünscht! Läutet die Glocke, wenn irgend etwas fehlt!" Am Ende ihrer Mahlzeit (die etwa eine Dreiviertelstunde dauerte und nicht von unnötigem Gerede unterbrochen wurde) fühlten sich Frodo, Pippin und Sam so erfrischt und ermutigt, daß sie beschlossen, sich der Gesellschaft anzuschließen. Merry meinte, es würde langweilig sein. "Ich werde hier noch eine Weile still und friedlich am Feuer sitzen bleiben und dann vielleicht noch mal hinausgehen, um ein bißchen Luft zu schnappen. Hütet eure Zungen und vergeßt nicht, daß eure Flucht geheim bleiben soll und ihr noch auf der großen Straße und nicht weit vom Auenland seid!" "Sehr richtig!" sagte Pippin. "Denke selbst daran! Verlauf dich nicht und vergiß nicht, daß es drinnen sicherer ist."

Sie gingen hinüber in die große Wirtsstube. Die Gesellschaft war zahlreich und buntgemischt, wie Frodo feststellte, als seine Augen sich an das Licht gewöhnt hatten. Es kam hauptsächlich von einem lodernden Holzfeuer, denn die drei Lampen, die an den Deckenbalken hingen, waren trübe und halb verschleiert vom Rauch. Gerstenmann Butterblume stand in der Nähe des Feuers und unterhielt sich mit ein paar Zwergen und einigen seltsam aussehenden Menschen. Auf den Bänken saß allerlei Volk: Menschen aus Bree, eine Gruppe ortsansässiger Hobbits (die miteinander schwätzten), noch ein paar Zwerge und andere undeutliche Gestalten, die im Schatten und in den Winkeln schlecht zu erkennen waren.
Als die Auenland-Hobbits hereinkamen, wurden sie von den Breeländern im Chor begrüßt. Die Fremden, besonders jene, die den Grünweg heraufgekommen waren, starrten sie neugierig an. Der Wirt machte sie mit den Leuten aus Bree bekannt, aber so rasch, daß sie zwar viele Namen verstanden, aber selten sicher waren, zu wem welcher Name gehörte. Die Menschen in Bree schienen alle ziemlich botanische (und für Leute aus dem Auenland merkwürdig klingende) Namen zu haben, etwa Binsenlicht, Geißblatt, Heidezehen, Affalter, Distelwolle und Farning (ganz zu schweigen von Butterblume). Einige der Hobbits hatten ähnliche Namen. Die Labkrauts zum Beispiel schienen zahlreich zu sein. Aber die meisten Hobbits hatten natürliche Namen wie Hang, Dachsbau, Langhöhlen, Sandheber und Stollen, von denen viele auch im Auenland gebräuchlich waren. Es gab mehrere Unterbergs aus Stadel, und da sie sich nicht vorstellen konnten, daß jemand denselben Namen hat, ohne verwandt zu sein, drückten sie Frodo als einen lange verlorenen Vetter ans Herz. Die Bree-Hobbits waren wirklich sehr freundlich und neugierig, und Frodo merkte bald, daß er irgendeine Erklärung über sein Tun und Lassen würde abgeben müssen. Er gab an, er interessiere sich für Geschichte und Geographie (was viel Kopfschütteln hervorrief, obwohl keins dieser Wörter im Bree-Dialekt oft gebraucht wurde). Er sagte, er denke daran, ein Buch zu schreiben (woraufhin ringsum verblüfftes Schweigen herrschte), und er und seine Freunde wollten Unterlagen sammeln über Hobbits, die außerhalb des Auenlands, besonders in den östlichen Ländern, wohnten.
Darauf erhob sich nun ein Stimmengewirr. Hätte Frodo wirklich ein Buch schreiben wollen und viele Ohren gehabt, dann hätte er in wenigen Minuten genug für mehrere Kapitel erfahren. Und als ob das noch nicht reichte, erhielt er eine ganze Liste von Leuten, angefangen mit "der alte Gerstenmann hier", bei denen er weitere Erkundigungen einziehen könne. Aber nach einiger Zeit, als Frodo keine Anstalten traf, das Buch auf der Stelle zu schreiben, kehrten die Hobbits zu ihren Fragen über die Geschehnisse im Auenland zurück. Frodo erwies sich als nicht sehr mitteilsam, und bald saß er allein in einer Ecke, hörte zu und schaute sich um. Die Menschen und Zwerge sprachen hauptsächlich von fernen Ereignissen und berichteten Neuigkeiten, die allmählich nur allzu vertraut wurden. Im Süden gab es Unruhe, und die Menschen, die den Grünweg heraufgekommen waren, schienen unterwegs zu sein, um Länder zu suchen, wo sie etwas Frieden finden würden. Die Leute in Bree waren voller Mitgefühl, aber offensichtlich nicht sehr darauf erpicht, in ihrem kleinen Land Fremde in großer Zahl aufzunehmen. Einer der Reisenden, ein schielender, häßlicher Bursche, sagte voraus, daß demnächst immer mehr Leute nach dem Norden kommen würden. "Wenn kein Platz für sie geschaffen wird, werden sie sich selbst welchen schaffen. Sie haben ein Recht zu leben, genauso gut wie andere Leute", sagte er laut. Die Ortsansässigen zeigten sich nicht gerade erfreut über diese Aussicht. Die Hobbits schenkten all dem nicht allzu viel Aufmerksamkeit, und im Augenblick schien es die Hobbits auch nicht zu betreffen. Große Leute konnten schwerlich um Unterkunft in Hobbithöhlen bitten. Sie fanden Sam und Pippin viel interessanter, die sich jetzt ganz wie zu Hause fühlten und fröhlich über Ereignisse im Auenland plauderten. Pippin erregte viel Heiterkeit mit einem Bericht darüber, wie das Dach der Stadthöhle in Michelbinge einstürzte: Willi Weißfuß, der Bürgermeister und fetteste Hobbit im Westviertel, war unter Kalk begraben worden und kam heraus wie ein bemehlter Kloß. Aber es wurden verschiedene Fragen gestellt, die Frodo etwas beunruhigten. Einer der Breeländer, der offenbar mehrmals im Auenland gewesen war, wollte wissen, wo die Unterbergs eigentlich lebten und mit wem sie verwandt seien.

Plötzlich merkte Frodo, daß ein ungewöhnlich aussehender, wettergegerbter Mann, der im Dunkeln an der Wand saß, ebenfalls sehr aufmerksam der Hobbit-Unterhaltung lauschte. Er hatte einen hohen Bierkrug vor sich und rauchte aus einer seltsam geschnitzten langstieligen Pfeife. Seine Beine hatte er ausgestreckt, sie steckten in hohen Stiefeln aus weichem Leder, die ihm wie angegossen saßen, aber sehr abgetragen und jetzt schmutzverkrustet waren. Er hatte einen fleckigen Mantel aus schwerem, dunkelgrünem Tuch übergeworfen und trug trotz der Hitze im Raum eine Kapuze, die sein Gesicht beschattete; aber seine Augen sah man funkeln, als er die Hobbits beobachtete.
"Wer ist denn das?" fragte Frodo, als er Gelegenheit hatte, mit Herrn Butterblume zu flüstern. "Den habt Ihr, glaube ich, nicht vorgestellt." "Der?" sagte der Wirt und schielte zu ihm hinüber, ohne den Kopf zu drehen. "Das weiß ich selbst nicht genau. Er ist einer von dem wandernden Volk - Waldläufer nennen wir sie. Er redet selten, es sei denn, er erzählt, wenn ihm der Sinn danach steht, eine ungewöhnliche Geschichte. Mal verschwindet er für einen Monat oder ein Jahr, und dann taucht er plötzlich wieder auf. Im Frühjahr war er ziemlich oft hier; aber in letzter Zeit hat er sich nicht mehr sehen lassen. Seinen richtigen Namen habe ich nie gehört; aber hier in der Gegend ist er als Streicher bekannt. Er holt gut aus mit seinen langen Beinen; obwohl er niemandem sagt, aus welchem Grunde er sich so eilt. Aber es gibt keine Erklärung für Ost und West, wie wir in Bree sagen, womit die Waldläufer und die Leute im Auenland gemeint sind, bitte um Vergebung. Komisch, daß Ihr nach ihm fragt." Aber in eben diesem Augenblick wurde Herr Butterblume abgerufen, weil mehr Bier verlangt wurde, und seine letzte Bemerkung blieb ungeklärt.
Frodo bemerkte, daß Streicher ihn jetzt ansah, als ob er alles, was gesagt worden war, gehört oder erraten habe. Mit einemmal lud er Frodo mit einer Handbewegung und einem Kopfnicken ein, sich zu ihm zu setzen. Als Frodo herüberkam, warf er seine Kapuze zurück und enthüllte einen strubbeligen Kopf mit dunklem, graudurchzogenem Haar, und in einem bleichen strengen Gesicht ein Paar scharfe, graue Augen. "Ich werde Streicher genannt", sagte er leise. "Ich freue mich, Euch kennenzulernen, Herr - Unterberg, wenn der alte Butterblume Euren Namen richtig verstanden hat."
"Hat er", sagte Frodo steif. Er fühlte sich keineswegs wohl unter dem Blick dieser scharfen Augen. "Nun, Herr Unterberg", sagte Streicher, "an Eurer Stelle würde ich verhindern, daß Eure jungen Freunde zu viel reden. Trinken, Feuer und eine lustige Gesellschaft sind angenehm genug, aber schließlich sind wir hier nicht im Auenland. Es sind sonderbare Leute unterwegs. Obwohl vielleicht nicht gerade ich das sagen sollte, werdet Ihr wohl denken", fügte er mit einem verzerrten Lächeln hinzu, als er Frodos Blick bemerkte. "Und in letzter Zeit sind sogar noch merkwürdigere Reisende durch Bree gekommen", fuhr er fort und beobachtete dabei Frodos Gesicht.
Frodo erwiderte seinen Blick, sagte aber nichts; und Streicher machte keine weitere Andeutung. Seine Aufmerksamkeit schien sich plötzlich Pippin zuzuwenden. Frodo war bestürzt, als er merkte, daß der alberne junge Tuk, ermutigt durch seinen Erfolg mit dem dicken Bürgermeister von Michelbinge, jetzt tatsächlich sehr drastisch von Bilbos Abschiedsfeier berichtete. Schon war er bei der Rede angelangt und näherte sich dem erstaunlichen Verschwinden.
Frodo war ärgerlich. Für die meisten der ortsansässigen Hobbits war das zweifellos eine ganz harmlose Geschichte: eben etwas Komisches von den komischen Leuten jenseits des Flusses; aber manche (zum Beispiel der alte Butterblume) wußten das eine oder andere und hatten wahrscheinlich schon längst Gerüchte über Bilbos Verschwinden gehört. Es würde ihnen wieder den Namen Beutlin in Erinnerung rufen, besonders, wenn in Bree nach diesem Namen geforscht worden war. Frodo rutschte unruhig hin und her und fragte sich, was zu tun sei. Pippin genoß offensichtlich das Aufsehen, das er erregte, und hatte ganz vergessen, in welcher Gefahr sie waren. Frodo befürchtete plötzlich, daß er in seiner augenblicklichen Stimmung sogar den Ring erwähnen könnte, und das mochte verhängnisvoll werden.
"Ihr solltet lieber rasch etwas tun", flüsterte Streicher ihm ins Ohr. Frodo stand auf, sprang auf einen Tisch und begann zu reden, und damit war die Aufmerksamkeit der Zuhörer von Pippin abgelenkt. Einige Hobbits schauten Frodo an, lachten und klatschten und glaubten, Herr Unterberg habe mehr Bier zu sich genommen, als ihm gut tat.
Frodo kam sich mit einemmal sehr töricht vor und merkte, daß er (wie es seine Gewohnheit war, wenn er eine Rede hielt) mit den Dingen in seiner Tasche spielte. Er fühlte den Ring an seiner Kette, und unerklärlicher Weise überkam ihn der Wunsch, ihn aufzustreifen und aus dieser albernen Situation zu verschwinden. Irgendwie hatte er das Gefühl, daß der Anstoß von außen kam, von irgend jemandem oder irgend etwas im Raum. Er widerstand der Versuchung entschlossen und umklammerte den Ring mit der Hand, als wollte er ihn festhalten und verhindern, daß er sich davonmache oder irgendein Unheil anrichte. Eine Anregung vermittelte er ihm jedenfalls nicht. Er sprach "ein paar passende Worte", wie man im Auenland gesagt hätte: Wir sind alle sehr dankbar für die freundliche Aufnahme, und ich wage zu hoffen, daß mein kurzer Besuch die alten Bande der Freundschaft zwischen Bree und dem Auenland wieder neu knüpfen wird; und dann zögerte er und hustete. Jeder im Raum sah ihn jetzt an. "Ein Lied!" rief einer der Hobbits. "Ein Lied! Ein Lied!" riefen alle anderen. "Los nun, Herr, singt uns etwas, was wir noch nicht gehört haben!"
Einen Augenblick stand Frodo mit offenem Mund da. Dann stimmte er in seiner Verzweiflung ein lächerliches Lied an, das Bilbo recht gern gehabt hatte (und auf das er sogar ziemlich stolz gewesen war, denn den Text hatte er selbst verfaßt). Es handelte von einem Gasthaus; und das war vermutlich der Grund, warum es Frodo gerade einfiel.


(Die Bilder stammen von amerikanischen Künstlern wie Alan Lee, Ted Nasmith und den Hildebrandt Brüdern - www.nigthrunner.com)